T I M E S W I N G S – The Art of Hanne Darboven“ von René Martens


Kasper König, der frühere Direktor des Museums Ludwig in Köln, sagt, ihre Kunst beschäftige sich - auch - damit, „was die Funktion oder Nicht-Funktion von Kunst ist“. Und Okwui Enwezor, Direktor des Hauses der Kunst in München, spricht von einem „Werk eines enzyklopädischen Geistes“.

 

Die Rede ist von der Hamburger Ausnahmepersönlichkeit Hanne Darboven, der sich Rasmus Gerlach („Apple Stories, „Gefahrengebiete & andere Hamburgensien“) in seinem neuen Dokumentarfilm „T I M E S W I N G S“ widmet.

 

Die Formulierung „Hamburger Ausnahmepersönlichkeit“ bedarf bereits einer Präzisierung. Im Wikipedia-Eintrag zu der 2009 im Alter von 68 Jahren verstorbenen Künstlerin ist als Todesort Rönneburg angegeben - obwohl es sich hier nur um einen Ortsteil des Hamburger Stadtteils Harburg handelt. Das zeigt, wie wichtig dieser Ort für Hanne Darboven war. Hier hat sie in einem 300 Jahre alten Bauernhaus gearbeitet und gelebt, hier hat heute die nach ihr benannte Stiftung ihren Sitz.

 

Rasmus Gerlach hat Hanne Darboven als Schüler kennengelernt, bei einer Ausstellung der Konzeptkünstlerin in Bremerhaven, wo der Filmemacher zur Schule ging. Die Kunstlehrerin Hannelore Ahprn verfolgte ein ehrgeiziges pädagogisches Konzept – das dazu führte daß ihre Schüler im Kunstkabinett Bremerhaven Hanne Darboven beim Hängen halfen. So geriet Schüler Gerlach in den Siebzigern in den Strudel der Kunstgeschichte – denn das Kunst-Kabinett Bremerhaven war der erste „White Cube“ Die Ausstellung führte auch dazu, dass er zum Filmstudium an die Hamburger Kunsthochschule aufbrach. Als Experimentalfilmstudent traf er die Konzeptkünstlerin dann wieder. Sie hatte inzwischen ihren eigenen Experimentalfilm gedreht – über Harburg. Dieses Werk aus den frühen 1980er Jahren taucht in Gerlachs Film auf.

 

Was Gerlach an Darboven besonders interessiert, ist ihre minimalistische Musik - ein Schaffensbereich der Multitalentierten, der in der Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen wird, als er es verdient hat. Als Einstieg in das Universum Darbovens präsentiert der Regisseur dem Zuschauer, wie das Ensemble Resonanz im Liebermann-Studio des NDR anlässlich Darbovens 75. Geburtstags in diesem Jahr ihre Symphonie „Fin de Siècle, op. 27“ aufführt. „Die Musik ist die Endkonsequenz ihrer totalen Arbeit“, sagt im Film Stiftungsmitarbeiterin Florentine Gallwas, als sie Darbovens vierteiliges, zwischen 1971 und 1985 entstandenes „Requiem“ erläutert, das auf zirka 45.000 Blättern notiert ist.

 

Gerlach umkreist in seinem Film Darbovens Anwesen in Rönneburg. Das Haus, in dem sie lebte, spiegelt, um auf Okwui Enwezor zurückzukommen, den „enzyklopädischen Geist“ der Künstlerin wider, es ist bis unters Dach voll mit Objekten – Fundstücke, Kunstwerke von Freunden und Fotos. Als Gerlach mit Darbovens Tierarzt das Haus besichtigt, stößt dieser einen gläsernen Pokal um, der scheppernd zu Bruch geht. „Wenn Hanne was wegschmiss, dann war es wirklich nichts wert“, sagt ihr Hausfotograf Bernhard Berz.

 

Unerschütterlich arbeitet ihr Team in Rönneburg weiter, sorgt dafür, dass auch jetzt, neun Jahre nach ihrem Tod, riesige Hallen mit Darbovens Kunst bespielt werden können. Die Konzeptkunst ist kein leichtes Terrain für einen Dokumentarfilm, aber in den Worten dieser Co-Worker, wie Darboven sie nannte, werden Werk und Persönlichkeit lebendig. Und zwar in allen Facetten: hier Darbovens mathematisch-kühle, in mehrerlei Hinsicht „eckige“ (Gerlach) Konzeptkunst und ihre strenge Avantgarde-Musik, dort ihre Liebe zur Natur und die Vernarrtheit in ihre Tiere, die dazu führte, dass ihre Ziegen und ihr Wellensittich Piephans Nr. 1 Grabsteine auf dem Grundstück in Rönneburg bekommen haben. Darboven liegt neben ihnen begraben.

 

Eine wichtige Rolle spielt in „T I M E S W I N G S“ „ein Sinnbild für Hannes Kunst“, wie Gerlach es formuliert. Im Eisbach, direkt hinter dem Münchener Haus der Kunst, wo 2015 die erste große Retrospektive von Darbovens Werk nach ihrem Tod stattfand, gibt es eine stehende Welle, die unter einer Straße hindurch über eine Betonschwelle in den Englischen Garten strömt. Die stehende Welle ermöglicht es Wellenreitern, auf dem schmalen Eisbach zu surfen - mit hoher Geschwindigkeit wenige Meter von einem Ufer zum anderen. Die Strömung harmonisiert mit Darbovens Musik, die auch als Schwingung ohne Fortbewegung verstanden wird. Gerlach sagt: „Meine These ist, dass das Verstreichen von Zeit ein Generalthema ebenso von Hanne Darbovens Kunst wie auch des Dokumentarfilms an sich ist.“

 

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Die Rede ist von der Hamburger Ausnahmepersönlichkeit Hanne Darboven, der sich Rasmus Gerlach („Apple Stories, „Gefahrengebiete & andere Hamburgensien“) in seinem neuen Dokumentarfilm „T I M E S W I N G S“ widmet.